Leserbrief zur WASG |
veröffentlicht von Diana Ammer am 18.6.2005 |
Leserbrief vom 18. Juni 2005 zu
„Ach wären sie doch links“, von Frank Drieschner, Die Zeit Nr. 25 vom 16. Juni 2005
WASG – eine Bewegung mitten aus der Gesellschaft
Eintreten für Schwache ist Basis unserer Demokratie und nicht einer linken Politik vorbehalten. Daher ist die WASG auch keine linke Randgruppe.
Frank Drieschners Definition, links sei das Eintreten für die Schwachen und das unerträglich Empfinden von Zustände wie Armut und Chancenlosigkeit, ist daher falsch, da dies Intention und Motivation eines jeden Demokraten und jeden Christen sein sollte.
Seit Jahren sind bei den etabliertem Parteien CDU, SPD, FDP und Grüne Demokraten mit dieser nach Drieschners Definition linken Einstellung als Sozialromantiker an den Rand gedrängt und entmachtet worden. Diese Parteien scheinen nur noch dem Lobbyismus und nur Teilen ihres Klientels verpflichtet. Sie haben dabei ihre Verantwortung für unser Gemeinwesen und die Grundlagen unserer Demokratie aus den Augen verloren. In einem solidarischen Staat dürfen nicht riesige Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt werden, nach dem Motto: Der Kuchen reicht nicht mehr für alle.
Richtig wäre die Einstellung: Alle können einen Gewinn haben, also den Kuchen vergrößern, wo jeder zum Gemeinwesen beitragen kann und soll, wo gesellschaftstragende Leistungen wie Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Ehrenamt..., neben Erwerbsarbeit ihren Stellenwert haben.
Chancengleichheit, Solidarität und soziale Gerechtigkeit sind neben einem hohen Bildungsniveau die entscheidenden Standortfaktoren in Zeiten von Globalisierung.
Jeder, der in unserem Land alt werden will, sollte sich Sorgen um die geringe Zahl der Kinder machen. Aber noch viel mehr sollte er sich Sorgen machen um die Situation der Familien und unser rückwärtsgewandtes, sozial ausgrenzendes Schulsystem. Mit dem Argument, „wir wollen unsere Kindern nicht noch mehr Schulden hinterlassen“ zieht sich der Staat immer weiter zurück und verweigert die nötigen Investitionen in ein Bildungssystem, das einer modernen Gesellschaft und den Ansprüchen der Globalisierung gerecht werden kann.
In den letzten 23 Jahren waren die Linken tatsächlich machtlos, sprachlos, zerstritten und haben versagt. Jetzt gibt es die historische Chance auf eine Alternative, die Linken müssen sich der Verantwortung stellen. Eine neue linke Opposition im Bundestag verschaffte auch den Bevölkerungsgruppen wieder eine parlamentarische Vertretung, die sich durch den anhaltenden parteiübergreifenden neoliberalen Konsens ausgegrenzt sehen. Das kann die Demokratie neu beleben und helfen, wirklich zukunftsfähige Alternativen zu entwickeln.
Auch die Presse muss ihren Beitrag leisten und auf polarisierende, polemische Begrifflichkeiten, die alte Vorurteile pflegen, verzichten. Wer sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt, ist nicht von vornherein einer Alimentierungsmentalität verhaftet oder reformunwillig. Es ist ein fataler Irrtum, dass die Produktivität steigt, wenn man möglichst viele Arbeitnehmerrechte abschafft. Nicht alles, was einzelnen nützt, ist zum Vorteil von uns allen.
Drieschner benutzt für das neue Linksbündnis mehrfach den polemischen Begriff „Retrolinke“, die jede Umverteilung zulasten der Arbeitnehmer als neoliberal geißele – auch wenn sie Schwächeren zugute käme. Pseudomoderne konservative Kräfte haben doch erst dafür gesorgt, dass für die Schwachen in diesem Land zum großen Teil nur noch die Arbeitnehmer aufkommen und der vermögende Teil der Gesellschaft weitgehend außen vor ist.
Die Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts sollte uns allen eine Lehre sein für zukunftsorientiertes Handeln. Wer die Geschichte nicht kennt, ist verdammt, sie zu wiederholen. Die Wortschöpfung „Retrolinke“ setzt eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit voraus, es könnte daher fast als Kompliment verstanden werden. Die „Verlierer der Merkelreformen“ werden wir alle sein, wenn die Nöte und Chancenlosigkeit breiter Bevölkerungsschichten weiter ignoriert werden. Dann schwindet Demokratie, sozialer Friede und unser aller Wohlstand.
Links sein könnte heute bedeuten: Die demokratische Verantwortung ernst nehmen - weder politisch opportun, noch auf Lobbyisten hörend - dem Gemeinwohl verpflichtet sein.
Diana Ammer
32805 Horn-Bad Meinberg